Aus der Geschichte gibt es den Ausdruck «Potemkinsches Dorf». Angeblich liess einst Fürst Grigori Potemkin entlang der Wolga Kulissen von wohlhabenden Dörfern aufstellen, um der durchreisenden Zarin Katharina der Grossen blühende Landschaften vorzutäuschen. Er konnte sich solchen Schabernack leisten. Er war der Liebhaber der Herrscherin.
Auch im Schweizer Eishockey haben wir ein Potemkinsches Dorf: Die SCB-Nachwuchsorganisation, die als eigenständige AG (SCB Future AG) betrieben wird. Die SCB Future AG operiert mit einem Jahresbudget von gut und gerne einer Million.
Der SCB ist dazu verurteilt, Erfolg zu haben. Um Europas grösstes Publikum bei Laune zu halten. Die Integration eigener Talente in die Mannschaft ist nicht einfach. Oft haben hochtalentierte junge Spieler eben auch eine starke Persönlichkeit und neigen zum Widerspruch. Aber beim SCB fehlen nicht nur in zu vielen Fällen Geduld und Verstand im Umgang mit hochkarätigen Talenten.
Was sich noch stärker auswirkt: Die Nachwuchsorganisation hat im SCB-Konzern keinerlei Bedeutung. Sie kostet ja nur. Aber das grösste Hockeyunternehmen im Land kann es sich politisch – in der Aussenwahrnehmung – nicht leisten, keine Juniorenabteilung zu führen. Schon gar nicht in der Stadt Bern. Also gibt es in Gottes Namen halt eine SCB-Juniorenabteilung.
Die SCB Future AG ist das potemkinsches Dorf unseres Hockeys, das in Bern der lokalen Politik, den Sponsoren und den Fans eine Nachwuchsabteilung vorgaukelt, die nicht viel mehr ist als eine Kulisse. Die allerdings eine Million im Jahr kostet. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich Mark Streit dazu hat überreden lassen, im Verwaltungsrat der Nachwuchs AG Einsitz zu nehmen: Der ehemalige NHL-Star ist in der SCB-Nachwuchsorganisation ausgebildet worden und musste Bern verlassen, um Karriere zu machen. Wie unter anderem Marco Müller, Samuel Kreis, Luca Hischier, Colin Gerber, Mauro Dufner, André Heim, Yanik Burren und wie soeben Mika Henauer.
Die Integration der eigenen Nachwuchsspieler in die erste Mannschaft ist nicht nur in Bern schwierig. Auch die ZSC Lions, Fribourg-Gottéron oder Lugano bilden Talente aus, die erst bei der Konkurrenz Karriere machen. Zu viele Faktoren beeinflussen die Entwicklung eines Spielers, die der Klub nicht im Griff haben kann. Und doch ist die Talentverschwendung beim SCB ungewöhnlich und unverständlich.
Der SCB ist mehr als jeder andere Geldspeicher-Titan auf die Gunst des Publikums angewiesen. Nichts trägt zur Bindung der zahlenden Zusehenden mehr bei als «eigene» Spieler. Es stimmt zwar, dass es in ruhmreichen Zeiten, wenn es Siege schneit und Titel hagelt, dem Publikum herzlich egal ist, wer ein SCB-Leibchen trägt. Aber kein noch so gut geführtes Hockeyunternehmen ist permanent erfolgreich. Titel sind nie die Regel. Also ist es gerade beim SCB wichtig, auch in Zeiten der Niederlagen die Gunst des Publikums zu bewahren. Und dazu trägt nichts mehr bei als Spieler, die in der eigenen Nachwuchsabteilung ausgebildet worden sind. Einheimische sozusagen.
Das mag ein Argument sein, das vor allem Romantiker überzeugt. Es gibt allerdings noch einen ganz anderen Grund, warum die SCB-Nachwuchspolitik eine Torheit sondergleichen ist. Die Stadt Bern mit ihrer Lebensqualität und exzellenten Bildungsmöglichkeiten (Universität, Fachhochschulen) könnte der Hotspot für alle vielversprechenden Hockey-Talente sein. Ausbildung und Profisport lässt sich in Bern bestens verbinden. Es kann doch nicht sein, dass hochkarätige Talente wie beispielsweise Roger Karrer oder Marco Miranda die ZSC Lions verlassen und ihr Glück lieber in Genf als in Bern suchen.
Mit kluger Nachwuchsarbeit könnte der SC Bern die Mannschaft laufend mit den besten Talenten des Landes ergänzen und immer wieder mal veredeln. Aber inzwischen ist jedem jungen Spieler, der sich weiterentwickeln möchte, dringend vom SCB abzuraten. Einer Sportabteilung (und ihren Chefs) ist nicht mehr zu helfen, die Jesse Zgraggen (30) transferiert und dafür ein Talent wie Mika Henauer aussortiert und während der Saison nach Kloten ziehen lässt.
Warum rebellieren die Verantwortlichen der SCB-Nachwuchsorganisation nicht gegen fehlende Wertschätzung? Ganz einfach: Der Verwaltungsratspräsident der SCB Future AG heisst Marc Lüthi. Im SCB-Universum ist Marc Lüthis Wort Gospel (Evangelium).
Jahr für Jahr setzt der SCB bei der Nachwuchsabteilung eine Million in den Sand, statt einen maximalen Nutzen aus dieser Investition zu ziehen. Weil der Sinn, der Zweck und der Wert der Nachwuchsabteilung nicht im ganzen Umfang erkannt werden. Kein Problem. Der «Fall Henauer» zeigt primär eines: Es geht dem SCB wirtschaftlich nach wie vor viel zu gut. Der 60-Millionen-Gastro-Hockeykonzern kann es sich locker leisten, pro Saison eine Million in den Kamin zu schreiben. So gesehen ist die verfuhrwerkte SCB-Nachwuchspolitik mit der neusten Eulenspiegelei sogar ein gutes Zeichen.
Es ist heute ja nicht so, dass in Bern keine jungen Spieler aufs Eis geschickt werden. Eher sogar mehr als in den letzten Jahren.
In anderen Punkten wie Hierarchie, Förderung, gibt es aber sicher Verbesserungspotenzial. Da gebe ich KZ durchaus recht.